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Interview zum Studieren in der Corona-Krise

Frau Prof. Maria Bannert gibt Interview zum Thema „E-Learning – gewusst wie; Tipps fürs digitale Lernen“

Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde Frau Prof. Maria Bannert zum Thema „Studieren mit digitalen Medien“ von abi>> interviewt und um Tipps fürs digitale Lernen gebeten. Die Fragen wurden von Frau Mascha Dintner für abi>> gestellt.
 

  • abi>>: Fällt es schwerer, einer Vorlesung am Bildschirm zu folgen als im Hörsaal? Wenn ja, warum?
    Prof. Bannert: Es kommt darauf, wie eine Vorlesung im Hörsaal und am Bildschirm gestaltet ist. Je nach Umsetzung beider Lehrformen können durchaus große Unterschiede bezüglich des Lernerfolgs auftreten. Eine Vorlesung am Bildschirm kann demzufolge lernförderlicher sein als eine im Hörsaal – aber auch umgekehrt. Generell gibt es beim E-Learning viele unterschiedliche Umsetzungen, so dass man nicht von dem E-Learning (oder von der online-Vorlesung) sprechen kann. Aber das kennen wir auch schon von Lehrbüchern und weiteren Lernunterlagen – und auch unsere Lehrerinnen und Lehrer hatten durchaus verschiedene Unterrichtsstile, die unser Lernen positiv oder negativ beeinflussten.
    Am meinem Lehrstuhl untersuchen wir, warum ein E-Learning-Programm besonders gut, d. h. lernförderlich ist, indem wir genauer erforschen, welche Lernaktivitäten bei den Lernenden aktiviert und unterstützt und welche gezielt oder womöglich unbeabsichtigt verhindert werden. Die Befunde unserer Forschung fließen dann in die Entwicklung von lernförderlichen E-Learning-Maßnahmen mit ein.
    So sind etwa sog. MOOCs (Massiv Open Online Courses) besonders gut gemachte Kursformate, welche neben der reinen Stoffvermittlung lernförderliche Aufgaben beinhalten. Allerdings wissen wir aus bisheriger Forschung, dass die Abbruch-Quote bei diesen Kursformaten sehr hoch ist. D. h. viele Studierende brechen nach einer bestimmten Zeit ihre Teilnahme ab – weit mehr als in herkömmlichen Vorlesungen. Dies liegt häufig daran, dass es vielen Studierenden schwerfällt, regelmäßig an der online-Vorlesung aus eigenem Antrieb teilzunehmen. In herkömmlichen Vorlesungen sehe ich meine Kommilitonen, kann mich davor und danach mit ihnen über die Inhalte austauschen. Dadurch bin ich womöglich motivierter, zur Vorlesung zu gehen, obwohl ich dafür beispielsweise die Fahrt in Kauf nehmen muss. Auch kann ich mit Lehrenden persönlich in Kontakt treten, etwa in der Vorlesung Fragen stellen oder danach nochmals kurz auf sie zugehen. Zwar bieten elektronische Vorlesungsaufzeichnungen auch die Möglichkeit, mit den Lehrenden oder anderen Studierenden in Kontakt zu treten, aber die Hürde ist oft höher und das persönliche sowie der direkte soziale Austausch fehlt.
    Neuere E-Learning-Formate versuchen diese Nachteile zu umgehen und bieten viele lernförderliche Tools sowie zusätzliche Kommunikationskanäle an, so dass wir davon ausgehen, dass gut gestaltete online-Vorlesungen in Bezug auf den Lernerfolg durchaus mit den Vorlesungen im Hörsaal mithalten können, sofern bestimmte Kriterien und Maßnahmen beachtet werden, wie im Folgenden kurz dargestellt wird.
     
  • abi>> Welche Vorteile bietet E-Learning - auch, wenn es wie jetzt gezwungenermaßen stattfindet? Wie können sich Studierende diese zunutze machen?
    Prof. Bannert: Die Vorteile von E-Learning liegen eindeutig in der Zeit- und Ortsunabhängigkeit, d.h. ich kann jederzeit an jedem Ort (auch offline) mit E-Learning-Materialien lernen. Zudem kann ich dabei meist selbst entscheiden, was ich wann und wie lernen möchte. Dieses hohe Maß an Eigenkontrolle setzt jedoch auch die Fähigkeit der Lernenden voraus, den eigenen Lernprozess selbst zu regulieren. Diese Fähigkeit ist jedoch bei den meisten Lernenden nur eingeschränkt vorhanden. Oft werden in der Schule zahlreiche Vorgaben zum Lernen gemacht: die Lernzeit, das Lernpensum, die Lernart, das Lernmaterial etc., so dass es uns schwerfällt, Lernprozesse in Eigenregie zu arrangieren. Darum fällt beispielsweise auch vielen Studienanfängerinnen und -anfängern der Studienbeginn besonders schwer, weil sie nun Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen müssen und keiner mehr da ist, der ständig kontrolliert – zumindest nicht so hochgradig wie in der Schule.
    Durch die Corona-bedingte soziale Distanzierung geben nun viele Lehrkräfte Pläne und Materialien mit Aufgaben zum Lernen im Homeoffice vor. Allerdings verlangt diese neue (Lern-) Situation auch viel mehr Selbstdisziplin, weil zahlreiche attraktivere Tätigkeiten mich zuhause vom Lernen ablenken und abhalten, insbesondere dann, wenn ich nicht besonders motiviert zum Lernen bin.
    Um also die Vorteile von E-Learning zu nutzen, ist es wichtig, dass ich mein Lernen selbst regulieren kann, und da sind wir schon bei der Beantwortung der nächsten Frage …
     
  • abi>> Studieren vom Küchentisch oder der Couch aus erfordert noch mehr Selbstorganisation und Disziplin als ein Studium das ohnehin schon tut - Wie kann ich als Studierender mein E-Learning möglichst erfolgreich gestalten? 
    Prof. Bannert: In der Tat erfordert E-Learning sehr viel mehr Eigenorganisation, wie eben schon erwähnt. Wir nennen das in der Forschung „Selbstregulation“, womit viele Schüler*innen und Studierende erstmal Probleme haben. Das ist auch nicht verwunderlich, weil selbstreguliertes Lernen in Schule und Studium meist nicht explizit vermittelt wird. An meinem Lehrstuhl forschen wir zu diesem interessanten und wichtigen Thema und die gute Nachricht ist, dass man durchaus lernen kann, sein eigenes Lernen gut zu regulieren. Um das Lernen mit E-Learning erfolgreich zu gestalten, habe ich ein Lernschema zum selbstregulierten Lernen entwickelt (s.u. Abbildung) und wissenschaftlich evaluiert. Die Befunde meiner Untersuchungen zeigten, dass sich Lernende, die sich beim Lernen an das Lernschema hielten, bessere Lernleistungen beim E-Learning erzielten, als Lernende, denen das Lernschema nicht zur Verfügung stand oder aber dieses beim Lernen ignorierten.
    Demnach ist es beim E-Learning von Vorteil, dass ich mir erstmal einen Überblick über den Lerninhalt und die Aufgaben verschaffe (was ist zu tun?) und abkläre, was ich davon schon weiß. Danach kann ich meine Lernziele festlegen (was will ich bis wann gelernt haben?) und dann einen Tagesplan und Wochenplan erstellen (was lerne ich wann und wie?). Dabei ist zu beachten, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen, sondern das Lernthema in kleinere Lerneinheiten aufzuteilen und das Lernpensum langsam aber stetig zu steigern. Pausen sind dabei auch nicht zu vergessen!
    Während des Lernens sind relevanten Inhalte konzentriert zu bearbeiten und die Lernmaterialien nicht nur schnell zu überfliegen. Es ist wesentlich effektiver, das Lernmaterial auch kritisch zu hinterfragen und ggf. mit Mitschülern zu diskutieren (s.u.). Dabei hilft es, Wichtiges zu unterstreichen und schriftlich zusammenzufassen. Das Gelernte in eigenen Worten zu formulieren zeigt einem recht schnell, ob man das Thema verstanden hat. Zudem ist es hilfreich, sich von Zeit zu Zeit die eigenen Ziele und den zu Beginn aufgestellten Lernplan zu vergegenwärtigen – bei großen Abweichungen sollte ggf. beides nochmals angepasst werden.
    Nach dem Lernen, das kann am Ende des Vormittages, des Tages oder auch der Woche sein, ist die eigene Prüfung wichtig, ob die gesetzten Lernziele tatsächlich auch erreicht wurden und ob alle Lernaufgaben korrekt bearbeitet und Lernfragen beantwortet werden können. Je nachdem müssen einige Stellen in den Unterlagen womöglich erneut durchgearbeitet werden – dafür ist unbedingt ein zeitlicher Puffer bei den Planungen zu berücksichtigen. Sofern gut strukturiert, wird das eigenverantwortliche Lernen und somit letztendlich auch die anstehende Prüfung um einiges erfolgreicher bewältigt.
     
  • abi>> Welche Tipps können Sie Studierenden geben, um sich beim E-Learning zu strukturieren?
    Prof. Bannert: Neben den eben skizzierten Lernaktivitäten (s. Lernschema) ist auch die Gestaltung der eigenen Lernumgebung sehr wichtig. Darunter fällt u.a. die Einrichtung eines Lernplatzes, an dem man ungestört arbeiten bzw. lernen kann und nicht ständig abgelenkt wird. Lernen im Bett bei lauter Musik ist wenig lernzuträglich – vorteilhafter ist es, die Musik leise zu stellen, das Smartphone und die E-Mail abzuschalten, so dass man sich eine Weile ganz auf das Lernen konzentrieren kann. Dazu gehört auch, dass alle notwendigen Unterlagen vorhanden sind. Hier werden weitere Vorteile des E-Learning ersichtlich, da viele Lernmaterialien bereits gut strukturiert in den meisten E-Learning Plattformen vorliegen und meist jederzeit online abgerufen werden können.
    Zudem ist es von Vorteil gemeinsam mit anderen Mitschüler*innen zu lernen und sich regelmäßig über das Gelernte auszutauschen. Hierfür bieten sich feste Zeiten für die Lerngruppe an, zu denen die relevanten Lerninhalte diskutiert und gemeinsam hinterfragt werden. Das funktioniert auch problemlos online. Lerngruppen motivieren zudem am Ball zu bleiben, schaffen Verbindlichkeiten, verteilen die Last der Lernregulation auf mehrere Schultern und nach dem Lernen kann man dann vielleicht sogar gemeinsamen Hobbies nachgehen.

Zum Lernschema

Das Interview wurde am 12.05.2020 auf abi.de wie folgt veröffentlicht