Bedingungen des situationalen Interesses und der Lernmotivation im Mathematikunterricht

Projektleitung:

Prof. Dr. Doris Lewalter

Mitarbeiter:

Dr. Ariane S. Willems

Projektbeschreibung:

 

Ausgangsüberlegungen:

Aktuelle Daten belegen, dass derzeit ein akuter Mangel an ausgebildeten Lehrkräften für das Fach Mathematik vorherrscht und auch die Studienanfängerzahlen für den Lehramtsstudiengang Mathematik stetig zurückgehen. Als mögliche Ursache für diesen negativen Trend wird neben unzureichenden Fachkompetenzen der Schulabgängerinnen und Schulabgänger oftmals das geringe Interesse an Mathematik und die mangelnde Lernmotivation für das Fach angeführt. Sowohl Quer- als auch Längsschnittstudien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass im Verlauf der Schulkarriere das Interesse an Mathematik, welches auch für ein tiefer gehendes Verständnis der Lerninhalte und nicht zuletzt auch für die Lernleistung relevant ist, stark abnimmt (Baumert, Bos & Lehmann, 2000; Pekrun et al., 2007; Wendland & Rheinberg, 2004). Zudem schneiden deutsche Schülerinnen und Schüler in internationalen Vergleichsstudien nicht nur mit Blick auf die motivationalen Merkmale sondern auch hinsichtlich kognitiver Zielkriterien des Mathematikunterrichts relativ schlecht ab (u.a. Deutsches PISA-Konsortium, 2004; 2006). Eine Ursache für diese Situation wird insbesondere in der Gestaltung der Lehr-Lernprozesse im schulischen Mathematikunterricht vermutet (u.a. Deutsches PISA-Konsortium, 2004; Krauss et al., 2004; Kunter, 2005; Rakoczy, 2008).


Anknüpfend an diesen Forschungsstand stellt sich die Frage, wie der Unterricht in Mathematik gestaltet sein muss, um das Interesse und die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler wecken und aufrechterhalten zu können. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist es notwendig nicht nur isolierte Gestaltungsmerkmale eines „typischen“ Mathematikunterrichts zu betrachten, sondern fach- und situationsspezifische Gestaltungsmuster einzelner Unterrichtsstunden zu analysieren. Derzeit liegen für den gymnasialen Mathematikunterricht in Bayern keine empirischen Studien vor, die basierend auf einer umfangreichen Stichprobe die Vielzahl möglicher fachspezifischer Gestaltungsmuster systematisch analysieren und diese mit der aktuellen, situationsbedingten Lernmotivation sowie dem Interesse der Schülerinnen und Schüler im Unterricht in Beziehung setzen.

 

Ziele und Vorgehen:

Ziel des Projektes ist es daher, in einem ersten Schritt zu klären, ob sich fachspezifische Gestaltungsmuster des Mathematikunterrichts identifizieren lassen und inwieweit sich diese aus theoretischer Sicht interpretieren lassen. In einem weiteren Schritt soll der Einfluss dieser Gestaltungsmuster auf die aktuelle Lernmotivation und das Interesse der der Schülerinnen und Schüler geklärt werden.
Um die situations- und inhaltsspezifischen Motivationsprozesse im Unterrichtsgeschehen abbilden zu können, wird eine im schulischen Kontext wenig untersuchte Motivationsqualität, das situationale Interesse der Schülerinnen und Schüler (Hidi & Renninger, 2006; Krapp, 1998; Lewalter & Geyer, in Vorb.; Mitchell, 1993) untersucht. Es wird angenommen, dass diese Form des Interesses den Ausgangspunkt für längerfristige individuelle Fachinteressen bilden kann. Zusätzlich werden Annahmen der Selbstbestimmungstheorie aufgegriffen (u.a. Ryan & Deci, 2002), im Rahmen derer zwischen stärker extrinsischen Motivationsformen, die im schulischen Kontext von besonderer Relevanz sein dürften,  sowie eher selbstbestimmten Formen der Lernmotivation unterschieden wird.
Die Ermittlung möglicher Ursachen für die Ausprägung der einzelnen Motivationsformen im Unterricht erfordert die differenzierte Analyse der Gestaltung der Lernumgebung. Für die Erfassung der Unterrichtgestaltung werden in der Studie ausgewählte Merkmale berücksichtigt, die insbesondere für das Fach Mathematik von Relevanz sind. Hierzu zählt beispielsweise die kognitive Aktivierung, der Umgang mit verschiedenen Lösungswegen oder ein genetisch-sokratisches Vorgehen beim Erarbeiten von Lösungen. Zusätzlich zu den stärker fachspezifischen Merkmalen werden ausgewählte grundlegende Gestaltungsmerkmale erfasst (u.a. eingesetzte Sozialformen, wahrgenommene Alltagsrelevanz des Lernstoffes, Transparenz der Lernziele). Um zusätzlich einen möglichst genauen Einblick in die Unterrichtsgestaltung zu erlangen, soll sowohl die Sicht der Schülerinnen und Schüler als auch die der jeweiligen Mathematiklehrkräfte berücksichtigt werden, da diese beiden Sichtweisen auf den Unterricht teilweise deutlich divergieren können (vgl. zsfd. Clausen, 2002).
Zur Erklärung möglicher Zusammenhänge zwischen der Unterrichtgestaltung und den motivationalen Zielvariablen wird ausgehend von der Selbstbestimmungstheorie auf das Konzept der basic needs zurückgegriffen. Es soll untersucht werden, inwieweit das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit den Wirkzusammenhang zwischen verschiedenen Mustern der Unterrichtsgestaltung und den motivationalen Zielvariablen vermittelt.
Schlussendlich soll der Frage nach möglichen Hintergründen, wie es zu bestimmten unterrichtlichen Gestaltungsmustern kommt, nachgegangen werden. Hierzu werden Lehrerinterviews zur Ermittlung der handlungsleitenden Kognitionen der Lehrkräfte bezogen auf ihre Unterrichtsgestaltung sowie ihr professionelles Selbstverständnis durchgeführt werden (vgl. Bromme, 1997).

 

Stichprobe und Erhebungsdesign:

Die Datenerhebung ist für das Schuljahr 2008/2009 geplant. Es werden Schülerinnen und Schüler der 8. Jahrgangsstufe (Gymnasium) in Mathematik sowie deren Mathematiklehrkräfte einmalig schriftlich mithilfe eines Fragebogens befragt. In die Studie werden ca.  30-35 Schulklassen aus 15 Gymnasien einbezogen. Auf der Grundlage der so gewonnenen Daten werden anschließend gezielt Lehrkräfte ausgewählt, mit denen zusätzlich ein halbstrukturiertes Leitfadeninterview durchgeführt wird.

 

Literatur:

  • Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R. (Hrsg.). (2000). TIMSS/III - Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie - Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Band I: Mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der Pflichtschulzeit. Opladen: Leske + Budrich.
  • Bromme, (1997). Kompetenzen, Funktionen und unterrichtliches Handeln des Lehrers. In F. E. Weinert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts und der Schule: Enzyklopädie der Psychologie, Serie Pädagogische Psychologie, Bd. 3 (S. 177-212). Göttingen: Hogrefe.
  • Clausen, C. (2002). Unterrichtsqualität, eine Frage der Perspektive. Münster: Waxmann.
    Deutsches PISA-Konsortium (2004). PISA 2003 – Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Münster: Waxmann.
  • Deutsches PISA-Konsortium (2006). PISA 2003 - Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Münster: Waxmann.
  • Hidi, S. & Renninger, K. A. (2006). The Four-Phase Modell of Interest Development. Educational Psychologist, 41 (2), 111-127.
  • Krapp, A. (1998). Entwicklung und Förderung von Interesse im Unterricht. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 45 (3), 185-200.
  • Krauss, S., Kunter, M., Brunner, M., Baumert, J., Blum, W., Neubrand, M., Jordan, A. & Löwen, K. (2004). COACTIV: Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz. In J. Doll & M. Prenzel (Hrsg.), Bildungsqualität von Schule. Lehrerprofessionalisierung, Unterrichtsentwicklung und Schülerförderung als Strategie der Qualitätsverbesserung (S. 31-53). Münster: Waxmann.
  • Kunter, M. (2005). Multiple Ziele im Mathematikunterricht. Münster: Waxmann.
  • Lewalter, D. & Geyer, C. (in Vorb.). Die Skala zum Situationalen Interesse. 
  • Mitchell, M. (1993). Situational Interest: Its Multifaceted Structure in the Secondary School Mathematics Classroom. Journal of Educational Psychology, 85 (3), 424-436.
  • Pekrun, R., vom Hofe, R., Blum, W., Frenzel, A. C., Götz, T. & Wartha, S. (2007). Development of mathematical competencies in adolescence: The PALMA logitudinal study. In M. Prenzel (Ed.), Studies on the educational quality of schools. The final report on the DFG priority programme (pp. 17-37). Münster: Waxmann.
  • Rakoczy, K. (2008). Motivationsunterstützung im Mathematikunterricht: Unterricht aus der Perspektive von Lernenden und Beobachtern. Münster: Waxmann.
  • Ryan, R. M. & Deci, E. L. (2002). An Overview of Self-Determination Theory. An Organismic-Dialectical Perspective. In E. L. Deci & R. M. Ryan (Hrsg.), Handbook of Self-Determination Research (pp. 3-33). Rochester: University of Rochester Press.
  • Wendland, M. & Rheinberg, F. (2004). Welche Motivationsfaktoren beeinflussen die Mathematikleistung? - Eine Längsschnittanalyse. In J. Doll & M. Prenzel (Hrsg.), Bildungsqualität von Schule. Lehrerprofessionalisierung, Unterrichtsentwicklung und Schülerförderung als Strategie der Qualitätsverbesserung (S. 309-328). Münster: Waxmann.